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2012-11-08_2

Haushalt Teilbereich – Stadtentwicklung und Verkehr

Plenarprotokoll der Rede

Videoprotokoll der Rede

Oliver Bayer (PIRATEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Teilhabe wird zukünftig eine höhere Priorität haben als Eigentum. Sie erinnern sich. Das betrifft auch die Verkehrspolitik. Das Recht auf Mobilität ist kein käufliches Privileg. Führerschein ab 18, das eigene Auto, später das Traumauto, das hatte noch vor wenigen Jahren eine hohe Bedeutung.

Heute gibt es wichtigere Statussymbole. Was zählt, ist Flexibilität und Mobilität. In vielen Städten NRWs wird das Auto überflüssig, und aus Platz- und Kostengründen verzichten vor allem junge Menschen gänzlich darauf. Sogar die Autoindustrie hat dies erkannt und realisiert inzwischen neue Carsharing-Modelle. Die Generation unter 30 und die über 60 sind da Vorreiter, auch wenn es Verkehrsplaner im Alter von 30 bis 60 hin und wieder vergessen. Denn auch altengerechte Siedlungen müssen Alternativen zum Auto bieten.

Hinzu kommt eine große Anzahl von Menschen, die sich ein eigenes Auto gar nicht leisten können oder wollen. Apropos nicht leisten können: Wir haben eben schon gehört, der Bestand des Verkehrsnetzes ist gefährdet, zu lange galt Neubau vor Instandhaltung. Zu viele Brücken und Tunnel in NRW sind sanierungsbedürftig und müssen jetzt instandgesetzt werden.

Die Haushaltsmittel reichen weder für Straße noch Schiene aus, um den Bestand langfristig zu sichern. Wir können uns aus rein ökonomischen Gründen ein „Weiter so!“ nicht mehr leisten. Dazu kommt, dass auch indirekte Kosten in der Priorisierung bei der Verkehrsplanung einfließen müssen. Es müssen nicht nur Kosten für Klimaschutz und Umweltschäden sowie die sozialen Kosten berücksichtigt werden, eine verantwortungsvolle Verkehrspolitik baut Ausgaben an anderen Stellen vor. Und langfristig muss man auch die individuellen Aufwendungen für Mobilität, also das eigene Auto, gesamtgesellschaftlich als Opportunitätskosten einbeziehen.

Weniger Verkehrsflächen, weniger Lärm, mehr Raum für Stadtleben – all dies muss in eine Gesamtrechnung einfließen. Oft heißt es, man müsse „alle Verkehrsträger ausbauen“ und „die ideologische Brille abnehmen“. Dabei wird gerne vergessen, dass über Jahrzehnte fast ausschließlich in den Straßenbau investiert wurde. Das ideologische Ungleichgewicht besteht also, es verschlimmert sich. „Alles ausbauen“ bedeutet, die Fehler der Vergangenheit fortzuführen, so wie Sie es meinen.

In den letzten Jahrzehnten wurden immer mehr Neubauprojekte angekündigt und geplant. Diese Projekte liegen nun auf Eis, und das ist gut so. Jahrzehntealte Straßenpläne, die erst in kommenden Jahrzehnten realisiert werden, braucht niemand mehr. Diese lange Liste an Straßenbauprojekten kann auch niemand abarbeiten. Dies den Bürgern zu sagen, wäre ehrlich.

Die Probleme des Verkehrssystems in NRW sind groß. Wir brauchen neue Lösungen. Wir müssen den ohnehin bevorstehenden Verkehrswandel als Chance auffassen, eine Verkehrswende zu gestalten. Im Ansatz hat Rot-Grün die Idee verstanden. Zaghaft hat Verkehrsminister Groschek in seiner kleinen Regierungserklärung in die richtige Richtung gewiesen. Allerdings bleibt der Ansatz konservativ und mutlos.

Die Landesregierung begnügt sich damit, Verantwortung an den Bund abzugeben – auch hier –, anstatt selber tätig zu werden. Hier müssen wir die Regierung motivieren.

Ja, ein Großteil des Geldes, das zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in NRW notwendig ist, kommt vom Bund, und NRW wird dort weit unterdurchschnittlich berücksichtigt. Wir sind uns einig, dass der Verkehrshaushalt viel zu klein ist. Jedoch will die Landesregierung mit dem Verkehrshaushalt auch zur Haushaltssanierung beitragen. Bei den Piraten steht jedoch die konstruktiv gestaltete Verkehrswende ganz oben auf der Agenda.

(Christof Rasche [FDP]: Konstruktiv ist schön!)

Dass grundsätzlich genug Geld vorhanden ist, zeigen nicht nur Prestigeobjekte oder die 1,6 Milliarden €, die für den Ankauf von EADS-Anteilen freigegeben wurden. Nicht vergessen: Die 5 Milliarden € für die Abwrackprämie 2009 haben nichts bewirkt. Sie werden weder bei Verkehrsproblemen helfen, noch haben sie Autobauern geholfen.

Wenn Sie jetzt sagen, das hat aber nichts mit diesem Haushalt hier zu tun, weil es da um wichtigere Dinge ging, kann ich nur entgegnen: Ist das denn wichtiger als eine funktionierende Infrastruktur? Sicher nicht. Wenn dem Bund 5 Milliarden als Geschenk für die Automobilindustrie möglich sind, dann muss weit weniger Geld für die Begleitung der Verkehrswende ebenfalls möglich sein. Hoffentlich wenigstens diese 750 Millionen € als Mobilitätsbetreuungsgeld! Ich habe da noch etwas mehr Hoffnung als Herr Klocke.

Die Landesregierung schiebt jedoch auch hier alle Verantwortung von sich. Im Haushalt wird für den Posten „Förderung der Eisenbahn, des öffentlichen Nahverkehrs“ beinahe ausschließlich Geld des Bundes weitergeleitet. Allein für den Ausbildungsverkehr und für das Sozialticket fließen Landesgelder. Das Sozialticket ist jedoch ein erschreckendes Beispiel für die Mutlosigkeit der Regierung. Es ist doppelt so teuer wie der in den SGB-II-Regelsätzen verankerte Betrag für Mobilität und verfehlt das Ziel „Mobilität für alle“.

Auch Minister Groschek hat befunden, das Grundrecht auf Mobilität für alle wurde damit noch nicht umgesetzt, verwies aber auf die zu geringen Regelsätze.

Wir fordern, die Investitionsförderung für den ÖPNV mit Landesmitteln aufzustocken. Hier sind Kürzungen von mindestens 17 Millionen € im Vergleich zu 2010 vorgesehen. Das Geld wird dringend für die Infrastruktur benötigt. Weiterhin schlagen wir vor, das Budget für ÖPNV-Gutachten zu erhöhen, …

Vizepräsident Daniel Düngel: Herr Kollege Bayer.

Oliver Bayer (PIRATEN): Ja, ich komme zum Schluss.

Vizepräsident Daniel Düngel: Okay.

Oliver Bayer (PIRATEN): … damit die angegangenen Maßnahmen die beabsichtigte Wirkung zeigen. Damit kommen wir der Realisierung des Grundrechts auf Mobilität näher. – Vielen Dank.

(Beifall von den PIRATEN)

Vizepräsident Daniel Düngel: Vielen Dank, Herr Kollege Bayer.

Einzelplan 09
Ministerium für Bauen, Wohnen,
Stadtentwicklung und Verkehr