Pages

Categories

Suche



Rücktritte bei den Piraten: Ist das schlimm?

by
27. Oktober 2012
Allgemein, Blogbeitrag von Oliver Bayer
14 Comments

Lange über den heißen Brei reden und dann darin herummatschen will ich nicht. Es geht mir um eine These: Weil die Piratenpartei anders ist und sie zudem ein starkes Mitgliederfundament hat, werden etwaige Probleme mit dem „Spitzenpersonal“ ihr mittelfristig nicht schaden.

Natürlich schreiben derzeit alle Medien vom Ende der Piratenpartei. Zunächst um aus den Meldungen über Rücktritte und sonstige Personalien einen höheren Nachrichtenwert herauszuholen, aber auch, weil es der übliche Verlauf wäre: Neue Parteien entstehen meist um charismatische Persönlichkeiten herum. Sind diese „beschädigt“, kann sich die Restpartei nur sehr schwer schnell genug neu orientieren.

Letzteres ist bei Piraten jedoch anders: Für die interne Aufstellung der Partei ist das Spitzenpersonal, sind charismatische Führungspersönlichkeiten unwichtig, vielfach werden sie gar als störend empfunden. Dies mag ungewöhnlich und ungewohnt sein. Doch es ist kein Makel, es gehört zum Kernkonzept der Piratenpartei. Einige Piraten genießen zwar intern hohes Ansehen, allerdings auf netzwelttypisch flüchtigem Niveau. Sie sind wechselnd wichtig, um sowohl organisatorische und meinungsbildende Prozesse zu entwickeln, als auch zu motivieren und durch ihr Engagement andere mitzuziehen.

Rücktritte im Vorstand und selbst ein monatelang zerstrittener Bundesvorstand haben auf die laufende Parteiarbeit kaum Einfluss, weil die Piraten sehr breit aufgestellt sind und die Kultur der Selbstorganisation sehr weit verbreitet ist. Das Schwarm-Konzept verstärkt zwar Shitstorms und mutet ressourcentechnisch ineffizient an, ist aber unerlässlich, um zuverlässig das zu Umschiffen, was andernorts „Probleme in der Führungsetage“ heißt.

Stark belastend und demotivierend für die Mitglieder sind Streits und persönliche Differenzen auf der Ebene, in der die jeweiligen Mitglieder aktiv sind. Das ist ein Problem, welches in allen Parteien und Vereinen bekannt ist. Auch Piraten sind davor nicht gefeit. Es ist dann an den anderen Ebenen und Arbeitsgruppen, die Mitglieder aufzufangen und ihr Engagement notfalls an neuer Stelle zu wecken. Durch die dezentralen und offenen Strukturen funktioniert dies meistens nach einer mehr oder weniger langen Frustphase, in der die Probleme lautstark mitgeteilt werden. Dass Probleme öffentlich ausgebreitet werden, ist sowohl piratentypisch als auch wichtig zur transparenten Lösungssuche.

Was bei Piraten nicht anders ist als bei anderen Parteien, ist die Wirkung nach außen: offene Streitereien – bei Piraten jeden Tag zu beobachten, da die Kommunikation offen über das Internet läuft, Rücktritte und Probleme mit dem Spitzenpersonal.. man hat sich daran gewöhnt, dass dies die Indikatoren echter Probleme sind. Dies überlagert in den klassischen Medien alles programmatische. Und der Großteil der Bevölkerung und auch Piraten informiert sich nicht in Antragsportalen.
Piraten wissen von den vielfach ignorierten „Inhalten“ (siehe auch die anderen Beiträge dieses Blogs), doch man darf sie in der derzeitigen Berichterstattung nicht erwarten: politische Positionen und Ideen alleine haben keinen hohen Nachrichtenwert, zudem lassen sich Geschichten um Personen herum viel schöner aufbauen. Ändern könnte sich das bei den nächsten beiden Bundesparteitagen, die die nächsten beiden Chancen zur Nachrichtenwende bieten, sofern die Piratenpartei nicht den Fehler begeht, hier Programmentwicklung durch Vorstandswahlen zu ersetzen. Das wäre tatsächlich ein #Fail, den auch die hart arbeitenden Piraten in den programmatischen Arbeitsgruppen nicht verstehen würden. Das würde nicht das Ende der Partei bedeuten, jedoch die Parteientwicklung um Monate verzögern. Parteitage werden noch nicht dezentral abgehalten. Sie sind die Schwachstellen im Parteisystem.

Medienberichte über Piraten im Sinkflug sind selbsterfüllende Prophezeiungen. Sie initiieren einen Prozess bei den Umfragewerten und der selbstverstärkende Effekt steigender oder fallender Umfragewerte ist größer als alles, was Piraten kurzfristig an PR leisten können. Wir kennen den Macht der Umfragen aus dem Berlinwahlkampf.
Daher braucht die Piratenpartei einen langen Atem. Den jedoch hat sie. Dank ihrer flexiblen Strukturen und der Macht der Basis, also jedes einzelnen aktiven Mitglieds. Dass darüber hinaus Abgeordnete in vier Landesparlamenten sitzen, ist nicht entscheidend, aber sicherlich hilfreich.


14 Antworten

  1. juh

    29. Oktober 2012, 11:15:48

    Yep, ich sehe das ähnlich, wenn auch nicht ganz so optimistisch.
    http://www.sudelbuch.de/2012/weil-es-uns-spass-macht
    http://www.sudelbuch.de/2012/prominenz-als-politischer-faktor und

       
  2. Jan

    28. Oktober 2012, 18:35:53

    Sehr guter Text, danke. :-)

       
  3. cassiopeia

    28. Oktober 2012, 16:33:42

    Hallo Oliver,

    das kann ich so unterschreiben. Die Basis arbeitet ziemlich unbeirrt weiter. Klar, bei diesen Querelen entringt sich einem der ein oder andere Seufzer und etwas Sorge um die Außendarstellung. Das einzige Rezept dagegen ist, hart arbeiten, gerade auch kommunalpolitisch und in den Parlamenten. Hier in unserer Stadt werden wir inzwischen als außerparlamentarische Opposition vom Rat und von der Presse durchaus ernstgenommen. Und wir bewegen auch durchaus was. Mitte November wird unser Antrag auf Reduzierung der Fraktionszuwendungen im Rat öffentlich behandelt. Kleine Erfolge und kleine Politik, aber viele kleine Schritte ergeben auch Bewegung. Und das was wir tun, tun ganz viele Piraten im ganzen Land. Das sollte uns Mut machen. Und an die Piraten in den öffentlichen Ämtern: Reisst euch zusammen, stellt mal die Sache über persönliche Befindlichkeiten. Ihr müsst euch nicht lieben, aber irgendwie zusammenarbeiten. Das erwarte ich schon von Leuten, die sich in solche Ämter wählen lassen.

       
  4. alex

    28. Oktober 2012, 15:45:28

    Torsten: Hast du den Text nicht richtig gelesen oder ignorierst du, was drin steht? Es wird doch klar gesagt, das die Piraten eben nicht von oben nach unten arbeiten, sondern von unten nach oben. Nicht der Vorstand macht das Programm und gibt die Richtung vor. Sondern die Basis auf den Parteitagen. Wen interessiert, welche Position ein Matthias Schrade, eine Julia Schramm, ein Sebastian Nerz und so weiter vertritt? Sie haben trotzdem nur eine Stimme auf den Parteitagen und können sich mit ihren Ideen nicht gegen Mehrheiten durchsetzen, nur weil sie Vorstand sind, wenn die Mehrheit es eben anders sieht. Demokratie, Baby!

       
  5. Holger

    28. Oktober 2012, 10:31:09

    Hallo,

    ihr sprecht von Inhalten? Welchen Inhalten?! Weder der Bundesvorstand, der meinetwegen in eurer Partei nicht wichtig ist, noch der Rest von eurer Bande hat Plan was er tut, noch Lust auf Politik!
    Am Anfang der Partei hat jeder was gefaselt wie „wir arbeiten an programmen und positionen“. nun wo sind die?
    wie stehen piraten zu kündigungsschutz, gesundheitsversorgung (und ich rede nicht von für oder gegen praxisgebühr, sondern von einem konzept, wie die gesundheitsversorgung funktionieren soll), syrien, EU usw
    da gibt es NICHTS und wenn es was gibt, dann wissen das höchstens eure nasen aufm parteitag. in der zeitung oder im fernsehen gibt es keine positionen. höchstens mal so ein postengeiler bundesvorstandstrottel, der bei anne will über transparenz im netz labert

    danke. sowas wie euch braucht man nicht. ihr seid etwa so wertvoll für unsere demokratie, wie die rechte arschbacke von markus söder.

       
  6. Alex

    28. Oktober 2012, 08:47:58

    Das Problem ist nicht, dass Inhalte einen zu geringen Nachrichtenwert haben, das Problem ist, dass es euch im Moment nun mal absolut nicht gelingt, Inhalte zu transportieren. Und zumindest dazu brauchst du Spitzenpersonal. Denn die Medien wenden sich naturgemäß an dieses, um etwas über Inhalte zu erfahren. Das Spitzenpersonal jedoch ist vollständig mit sich selbst beschäftigt und hat noch nie viel zu Inhalten gesagt. Und deshalb wird die Piratenpartei nach den Erfolgen wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwinden und bei der Bundestagswahl die 5%-Hürde nur von hinten sehen, wenn euer Spitzenpersonal damit nicht bald aufhört.

    BTW, ein nicht barrierefreies Captcha ist unschick für jemanden, der für eine Partei sprechen will, die sich vor allem das Digitale auf die Fahne geschrieben hat. Ich weiß, dass da auch Teilhabe auf eurer Agenda steht. Wenn aber nicht mal die Basis diese in ihren Blogs umsetzt, ist das traurig.

       
    1. Oliver Bayer

      28. Oktober 2012, 19:55:35

      Das ist richtig, ja. Medien holen sich auch die Inhalte beim „Spitzenpersonal“ ab, bzw. dieses hat die Möglichkeit, Inhalte besonders gut in die Öffentlichkeit zu bringen. Wenn jenes Personal aber neben den programmatischen Entwicklungen steht bzw. nicht volles Engagement für bestimmte Themen zeigt, gibt es ein Kommunikationsproblem.
      Hier können wir aus den Fraktionen heraus arbeiten und ich glaube, wir sind da in NRW auf einem guten Weg. Einfache Statements und Pressemitteilungen haben zwar auch aus den Fraktionen heraus nicht die von uns gewünscht Wirkung, aber nach zwei kleineren Tagungen zum Thema „Verkehrswende“ planen wir beispielsweise nun eine größere außerhalb des Landtags, auch pressewirksam, ..solche Initiativen sollten zur Verbreitung der Inhalte u.a. beitragen.

      Captcha: Ja, es ist das Standard-PlugIn. Ich hatte mich spontan darauf verlassen, dass WordPress im allgemeinen bereits einigermaßen barrierearm ist. Wird geändert..

         
  7. Zombie

    28. Oktober 2012, 08:42:29

    hi,
    ich sehe das etwas anders. auch wenn es gut ist das die piraten sich nicht über wenige spitzenpolitiker identifizieren, so wirken die vielen rücktritte abschrecken weil schnell der eindruck entstehen kann das die mitglieder ihre partei und die wähler für nicht wichtig ansieht.
    auch wenn es spiessig klingt, kontinuität schafft einfach eher vertrauen…

       
    1. Oliver Bayer

      28. Oktober 2012, 19:58:58

      Dem ist so. Daher: Die Partei wird diese Phase überstehen. Vertrauensbildend ist das nicht. Klar.

         
  8. Peter Klein (Caergoa)

    27. Oktober 2012, 23:43:59

    Hallo Oliver,
    sehr treffend formuliert, denn der eigentliche Unterschied ist, dass unser Programm nicht wie bei den anderen Parteien von der Spitze entwickelt und vorgedacht wird, sondern von der Basis stammt.

       
  9. Torsten

    27. Oktober 2012, 19:28:34

    Straf die Leute Lügen, die mangelnde Inhalte beklagen. Sag uns, für welche Inhalte die Zurückgetretenen stehen und welche Positionen jetzt im Bundesvorstand eher eingenommen werden. In Ihren rücktrittsschreiben steht nichts, der BuVo weiß angeblich von nichts.

    Streitigkeiten um Positionen jenseits des Gründungsimpetus sind bei jungen Parteien notwendig. Doch um welche Positionen geht es hier. Welche Rolle soll der Staat spielen? Wie soll unsere Gesellschaft aussehen. Das kann man nicht immer nur klein-klein von Antrag zu Antrag entscheiden und je nachdem, welche Landesverbände grade näher am Tagungsort sind.

    Menschen stehen für Positionen. Für welche stehen Schramm und Schrade? Für welche Positionen stehen die verbliebenen Bundesvorstände?

       
    1. kopapi

      28. Oktober 2012, 10:07:59

      Klasse Torsten !

         
  10. lutz martiny

    27. Oktober 2012, 14:34:25

    Klasse, oliver

       

Kommentare sind geschlossen.