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Bodewig-Kommission lässt Chancen liegen und Fragen offen.

Bodewig-Kommission lässt Chancen liegen und Fragen offen.

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2. Oktober 2013
Allgemein, Blogbeitrag von Oliver Bayer
5 Comments

Jahrzehnte wurde falsch in Verkehrsinfrastruktur investiert. Deutschland und NRW brauchen eine Verkehrswende, um Mobilität, Transport und die entsprechende Finanzierung in Zukunft sicherzustellen.
Doch die einzigen Erkenntnisse der Verkehrsminister heute waren „Erhalt vor Neubau“ und „Wir brauchen mehr Geld“. Schade. Chance vertan.

Was ist passiert?
Heute haben sich die Verkehrsminister – auch Minister Groschek aus NRW – in Berlin zu einer Sonderkonferenz getroffen, um zu besprechen, wie es mit der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland weitergehen soll. Das ist klug, denn so können die Ergebnisse – man sprach gar von „Textbausteinen“ – noch in den Koalitionsvertrag einfließen und Deutschland auf Jahre hinaus gestalten. Dabei sollte es egal sein, wer nun wie mit wem koaliert.

Grundlage dafür bildeten die Ergebnisse der Bodewig-Kommission, die aus den Ergebnissen der vorangegangenen Daehre-Kommission einen empfehlenswerten Instrumentenkasten zur Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur entwickeln sollte. Die Daehre-Kommission hatte zuvor Möglichkeiten von der City-Maut bis zum Infrastrukturfond evaluiert. Natürlich ist mit der Finanzierung der Zukunft  immer auch ein Verkehrskonzept der Zukunft verbunden.

Wie es sich bereits vorher andeutete, ist die Ausweitung der LKW-Maut eines der empfohlenen Instrumente. Ebenfalls soll es für Schiene und Straße getrennte Infrastrukturfonds geben. In der Schweiz hat man damit – gespeist aus vielen Quellen, die jedoch zum Teil bei uns nicht in Frage kommen – gute Erfahrungen gemacht. Erfolgreiche Varianten solcher zweckgebundenen Sondervermögen sind auch in NRW bekannt: für Darlehen zum Bau von Sozialwohnungen.

Die Idee dieser Infrastrukturfonds ist gut. Man erhält Planungssicherheit für langjährige Bauvorhaben und hoffentlich eine zweckgebundene Bestimmung der Mittel – „nur für Verkehr“. Man entzieht die Mittel allerdings auch ein Stück weit der Kontrolle des Parlaments. Damit solche Fonds nicht zu Tricks werden – möglicherweise zur Umgehung der Schuldenbremse, des Parlaments oder der Öffentlichkeit – müssen wir aufpassen.

Die Verkehrsminister verlangen mehr Geld – und zwar für alle Verkehrsträger.
Das ist zunächst eine gute Nachricht, konnte man doch bei Bundesminister Ramsauer vermuten, es ginge ihm nur um Bundesfernstraßen. Natürlich benötigen gerade die Verkehrsträger mehr Investitionen, die in den letzten Jahrzehnten besonders vernachlässigt wurden, auch wenn es im Sinne des „Erhalts“ natürlich absolut die höchsten Defizite bei den Straßen gibt. Davon gibt es am meisten.

Doch „alle Verkehrsträger“ schließt scheinbar im wesentlichen Schiene und Straße ein. Wo ist der ÖPNV? Wo ist die Binnenschifffahrt? Wo sind das Radfahren und die Nahmobilität? Haben die Verkehrsminister vergessen, dass es um die Verkehrsinfrastruktur der Zukunft geht?

Sollen wir wirklich weiter machen wie bisher? Nur mit noch größeren Geldtöpfen, weil uns das „weiter so“ dahin gebracht hat, dass wir heute nicht mal mehr erhalten können, was wir bereits gebaut haben?

Ich sehe auch bei den Anmeldungen zum Bundesverkehrswegeplan 2015 nur noch wenig Hoffnungen, dass es – trotz vorgeblich besserer Bewertungsverfahren – ein Umdenken gibt: Wir werden weiterhin eine riesige Wunschliste an weiteren Straßenbauprojekten pflegen, weil unser Netz noch nicht dicht genug, noch nicht jeder Ort mit Umgehungsstraße versehen zu sein scheint. Wir werden weiter bauen, was wir in Zukunft nicht mal mehr erhalten können.

Die Verkehrsminister haben es leider zudem versäumt, über die Verteilung der durch die neuen Instrumente akquirierten Gelder zu sprechen. Wohin, in welche Region und in welche Art von Instandhaltungsprojekten werden die Gelder hauptsächlich fließen?

Weder wurde ein Tor zur verkehrspolitischen Zukunft geöffnet, noch wurde in den wesentlichen Streitfragen eine Einigung erzielt.
Schade. Aber noch nicht zu spät für ein Umdenken.


5 Antworten

  1. Oliver Bayer

    10. Oktober 2013, 02:14:43

    Jetzt sind auch die Anlagen, also der Bericht, online:
    http://www.bundesrat.de/cln_340/nn_8794/DE/gremien-konf/fachministerkonf/vmk/Sitzungen/13-10-02-sonder-vmk-nachhaltige-vif.html?__nnn=true

    Und auf dieser Seite unten ein Audiomitschnitt der Konferenz, den ich mir noch nicht angehört habe:
    http://www.bmvbs.de/SharedDocs/DE/Artikel/IR/sonder-verkehrsminister-konferenz-02-10-13.html?nn=35896

       
  2. Oliver Bayer

    10. Oktober 2013, 02:14:43

    Jetzt sind auch die Anlagen, also der Bericht, online:
    http://www.bundesrat.de/cln_340/nn_8794/DE/gremien-konf/fachministerkonf/vmk/Sitzungen/13-10-02-sonder-vmk-nachhaltige-vif.html?__nnn=true

    Und auf dieser Seite unten ein Audiomitschnitt der Konferenz, den ich mir noch nicht angehört habe:
    http://www.bmvbs.de/SharedDocs/DE/Artikel/IR/sonder-verkehrsminister-konferenz-02-10-13.html?nn=35896

       
  3. Ohrgefluester

    4. Oktober 2013, 13:03:54

    Verkehrsminister Michael Groschek hat die Ergebnisse der Bodewig-Kommission als „bahnbrechend“ bezeichnet. Dafür berücksichtigen seine Amtskollegen diese aber nur herzlich wenig. Ich greife nochmals vier konkrete Punkte aus dem Beschluss der Verkehrsminister heraus, die mir wichtig sind:

    1) Fehlende Investiiton in die marode Infrastruktur

    Interessant! Selbst die Unterfinanzierung wird vor 2017 nicht beseitigt – obwohl sehr viele Einnahmen erhöht werden sollen???

    Das erinnert an das gängige Vertrösten bei der Haushaltskonsolidierung. Der Haushalt solle bis zum Ende der Legislaturperiode ausgeglichen sein, hieß es immer. Heute sagen die Verkehrsminister, dass die nötigen Bestandsinvestitionen bis zum Ende der Legislaturperiode durchgeführt werden. Das ist absurd! Wir reden hier von Infrastruktur, die jeden Tag maroder wird. Öffentliche Gelder werden hier in zu geringem Maße und viel zu spät investiert. Dafür dass Angela Merkel die kaputten Straßen sehr häufig in ihren Wahlkampfreden erwähnt hat, sollten jetzt sofort neue Bautrupps zusammengestellt und das Ziel zumindest bis 2015 angegangen werden! (Ich finde: alles andere wäre Wählertäuschung). Die Ergebnisse sind allein deswegen sehr schlechte Verhandlungsergebnisse.

    vgl. „Reduzierung der Lücke der laufenden Unterfinanzierung um weitere 2,3 Mrd. Euro als zweite Stufe bis Ende der 18. Legislaturperiode mit einem Paket aus zweckgebundener, überjähriger und zugriffsfester Nutzerfinanzierung (Paket2).“

    2) Beschluss der Verkehrsminister: „Was nicht aus dem Haushalt finanziert werden kann, muss aus Instrumenten der Nutzerfinanzierung realisiert werden“

    = Dies signalisiert nichts gutes! Diejenigen die auf Mobilität angewiesen sind, sollen schon wieder drauf zahlen und die Preise für Tickets und die Steuern für das Auto werden steigen.

    Die Tricks der Finanzminister, immer neue Geldquellen zu erschließen, werden jetzt auch von den Verkehrsministern angewandt. Allerdings ohne an die nötige Verkehrswende zu denken. Die Botschaft lautet: Es bleibt alles beim Alten! Es wird nur teurer!

    Ein neues Solidarmodell, das den ÖPNV in den Mittelpunkt stellt, wäre viel sinnvoller. Eine sichere und planbare Umlage mit kleinen Monatsbeiträgen ist besser als die stufenweise Verteuerung von Mobilität für Autofahrer, ÖPNV-Nutzer und Bahnfahrer, die sich nach und nach immer weniger Menschen leisten können.

    Die Verkehrsminister selber stellen gleich zu Beginn ihres Beschlusses fest, dass
    jedem ein „Recht auf Mobilität“ garantiert werden muss. Wie wollen die Minister und besonders der SPD-Mann Groschek dieses Recht gewährleisten, wenn die Straßen- und Nahverkehrsinfrastruktur schon heute nicht mehr bezahlbar ist? Wenn bald immer weniger Menschen den ÖPNV oder ein Auto nutzen, bricht die Finanzierung weiter zusammen.

    Die öffentliche Nahmobilität entlastet bereits heute die Straße und den Autofahrer. Dies kann der ÖPNV beispielsweise in den Städten noch viel stärker als heute tun. Warum setzt sich der NRW-Minister dann in den Verhandlungen weiterhin so einseitig für die Straße ein? Ein Beispiel ist der neue Verkehrswegeplan mit hunderten neuen Straßenbauprojekten, für deren Erhalt noch nachfolgende Generationen zur Kasse gebeten werden. Das ist nicht Verkehrspolitik 2.0 sondern eher Politik -1.0!
    Die Aufschiebung in die Zukunft („Eine Lösung muss im Laufe des Jahres 2014 geschaffen werden, damit ein leistungsfähiger SPNV erhalten bleiben kann“) zeigt auch, dass der NRW-Minister und seine CDU-Kollegen keine großen Unterstützer des ÖPNV sind. Es handelt sich zwar um schöne Worte, aber eben es gilt eben erst das Jahr 2014! Auch bei der Straßeninfrastruktur steuert der Bund und die anderen Ländern, aber vor allem NRW nicht entschlossen genug um. Bereits die ältere Daehre-Komission fordert schon lange eine Politik nach dem Motto: Erhalt-vor-Neubau!

    Ich formuliere es aus Sicht des ÖPNV mal so: Sollte es zu einer schwarz-roten Koalition kommen, würde ich mit dem Autokauf jetzt noch warten. Denn die Aussichten auf Subventionen einer autofreundlichen Großen Koalition sind sehr gut und eine Lobbymaßnahme wie die Abwrackprämie für die Autoindustrie wird sicherlich nicht lange auf sich warten lassen.

    3) Im Beschluss seht: „Diesem folgt die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für die Erprobung von Strategien, Umsetzungsmodellen und Leistungsbeziehungen für einen effizienten Erhalt und Betrieb im Bestandsnetz (Pilotprojekte).“ (Seite 7)

    = Auf dieser Grundlage sollte als erstes ein Modellprojekt zum fahrscheinlosen ÖPNV durchgeführt werden. Denn wir wissen: Mit den Haushaltsmitteln für nötige Anfangsinvestitionen und einem kleinen Umlagebetrag (statt schwankenden Ticketeinnahmen) der Einwohner einer ÖPNV-Modellstadt würde ein effizienter Erhalt auf Dauer gesichert werden.

    4) Neue Fonds:

    Damit das allen klar ist: Die Verkehrsminister wollen mehr Geld, sich aber offen halten, was sie damit tun! Aus meiner Sicht sollten die Bürger nur zusätzlich zur Kasse gebeten werden, wenn klar ist, wofür das Geld ausgegeben wird!

    Deutschland und Europa braucht eine Verkehrswende. Als politisches Ziel sollte ein Verhältnis von Schiene, Binnenschifffahrt, Radfahren und Nahmobilität im Vergleich zur Straße auf mindestens 70 zu 30 Prozent oder besser 80 zu 20 festgelegt werden. Der Straßenanteil darf ausschließlich in den Erhalt gehen. (Im Bericht steht für den „Nachholbedarf und auch für den laufenden Erhalt“) Weitere Neubauten darf es nur auf Parlamentsbeschluss in den Ländern geben!

    Ich bin übrigens – wenn schon parlamentarische Hoheit an Fondmanager abgeben wird – ausdrücklich nicht dafür, gleich mehrere Fonds aufzulegen (Infrastrukturfonds Schiene, Infrastrukturfonds Straße und dann noch weitere für Sondervermögen) sondern, wenn überhaupt, nur für einen einzigen Fond! Dieser Fonds muss transparent darstellbar sein. Mehrere Fonds mit unterschiedlichen Aufsichten und Berichtsfristen sorgen für zusätzliche Unübersichtlichkeit.

    Fazit:

    Die Bodewig-Kommssion hat gut gearbeitet. Politisch geht es jetzt aber teuflisch langsam voran. Der NRW-Minister Groschek steht noch immer für eine straßenfreundliche Politik und hält weiter an zu vielen neuen Straßenbauprojekten fest. Die Grünen tun hier gar nichts für den ÖPNV und stützen Groscheks Festhalten an der NRW-Autozone als Verkehrs-Leitbild.
    Die Verhandlungsergbnisse selbst sind nicht „bahnbrechend“. Bahnbrechende Element müssen wir länger als es sinnvoll ist, sprichwörtlich auf den Zustand (jetzt bis 2017) unserer Verkehrswege beziehen. Zwar haben die Verkehrsminister offenkundig die Tricks der Ressortkollegen abgeschaut, aber nach dem Verkehrsminstertreffen gibt es dennoch nur einen Sieger: Es sind die Finanzminister!

    Und übrigens, was ich mich zu den Grünen frage: Warum setzen diese sich im Ausschuss und in Runden mit ihrem Verkehrsminister null Komma null für die nötige Verkehrswende ein? Findet grüne Politik nur noch im Grünen und nicht mehr auf der Straße statt?

       
  4. Edmund Lauterbach

    3. Oktober 2013, 00:40:18

    Kann man diese „Ergebnisse der Bodewig-Kommission“ auch irgendwo nachlesen? Alle noch so schlauen Kommentare und Blog-Einträge sind kaum hilfreich, solange die Öffentlichkeit keinen Zugriff auf das hat, was kommentiert und über das geblogt wird. Oder?

       
    1. Oliver Bayer

      3. Oktober 2013, 00:57:45

      Der Beschluss befindet sich hier:
      http://www.bundesrat.de/cln_340/DE/gremien-konf/fachministerkonf/vmk/Sitzungen/13-10-02-Sonder-VMK-Nachhaltige-VIF/13-10-02-beschluss,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/13-10-02-beschluss.pdf (PDF)
      Leider tatsächlich ohne die Empfehlungen und das Konzeptdokument der Kommission.
      Sobald mir die digital vorliegen, verlinke ich sie hier.
      Am 10. Oktober 2013 werden die Ergebnisse bei uns im Verkehrsausschuss mit der Möglichkeit für Rückfragen vorgestellt.
      Minister Groschek äußert sich hier: http://www.nrw.de/landesregierung/minister-groschek-zu-den-ergebnissen-der-bodewig-kommission-so-koennen-wir-deutschland-reparieren-14962/

         

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