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Mobilität der Zukunft ohne Ziel und Vision – Laschets Leuchtturmprojekt fehlt ganz offensichtlich ein Konzept

Mobilität der Zukunft ohne Ziel und Vision – Laschets Leuchtturmprojekt fehlt ganz offensichtlich ein Konzept

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20. Juni 2021
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„Wer präventiv handelt, verliert.“ Das hat die Politik tief verinnerlicht. Es ist das zweitgrößte Problem unserer politischen Landschaft (zum größten kommen wir gleich), dass sie erst dann reagieren darf, wenn die Katastrophe spürbar ist. Meist leugnen Verantwortliche anschließend, dass das Problem überhaupt erwartbar gewesen wäre.

Selbst wenn sich Chancen auftun, etwas zum Guten verändern, greifen politische Entscheidungstragende selten zu. Zu groß ist die Gefahr, mit aktiven Veränderungen eine einflussreiche Gruppe zu verärgern. Stattdessen dürfen die Regierungsfraktionen in den Parlamenten Verteidigungs-Anträge zusammenstellen, die wie Arbeitsnachweise aussehen. Alles, was irgendwie irgendwo getan wurde und zum Thema passt, wird aufgelistet.

Ein besonders trauriges Exemplar dieser Art brachte am Donnerstag die Laschet-Regierung ins NRW-Parlament. Es handelt sich um einen Antrag zur Mobilität der Zukunft in NRW und dieser beginnt mit einer Erkenntnis: Mobilität ist für alle Entwicklungen sehr wichtig und „sie steht vor weitreichenden Veränderungen“ durch sich verändernde Anforderungen der Menschen (Mobilitätsbedürfnisse) und der Politik (Klimaschutzziele) sowie durch die technische Entwicklung. Es ist die allgemein akzeptierte Erkenntnis, die 2014 zur Initiierung der ÖPNV-Enquetekommission „im Kontext des gesellschaftlichen und technischen Wandels“ durch die Piraten und bereits zu sehr konkreten Anträgen zur Digitalen Verkehrswende (Piraten 2016) führten. CDU und FDP nennen es nicht „Digitale Verkehrswende“, aber sie haben wohl begriffen, dass erstens etwas passieren muss (Verkehrswende) und zweitens etwas passiert: Nachdem andere Branchen, wie die Telekommunikation, längst von der Digitalisierungswelle überrollt und völlig umgekrempelt wurden, steht nun auch die Mobilität vor einem massiven Wandel. „In kaum einem Bereich gibt es einen so tiefgehenden Wandel wie in der Mobilität“, stellt auch Verkehrsminister Wüst folgerichtig fest. Dieser Wandel kommt. Aber es ist noch nicht entschieden, wer davon profitiert und ob er eine Verkehrswende einleitet oder alles nur noch schlimmer macht.

Was müsste nun nach einer solch eindringlichen Erkenntnis von CDU und FDP kommen?

Die genannten (gesellschaftlichen wie politischen) Anforderungen verlangen nach einem großen politischen Ziel, das mit den Chancen der technischen Entwicklung erreichbar ist: CDU und FDP müssten den Nährboden für großartige Veränderungen bereiten und einen Plan haben, wie die revolutionären Entwicklungssprünge uns dem Ziel näher bringen. Über allem stände eine mutige und motivierende Vision von der Mobilität der Zukunft in Nordrhein-Westfalen.

Doch: Das größte Problem unserer politischen Landschaft ist, dass Visionen verpönt sind. Folglich vermeiden es CDU und FDP, den Eindruck zu erwecken, eine Vision von der Mobilität der Zukunft in Nordrhein-Westfalen zu haben oder auch nur jemals daran gedacht zu haben, eine Vision haben zu können. Sie präsentieren keinen Plan, formulieren keine Ziele. Sie wollen gar nicht steuern, sondern nur zusehen, was passiert.

Was der Antrag nach der anfänglichen Erkenntnis präsentiert, ist eine unzusammenhängende Liste von Dingen, die in NRW passieren, irgendwie mit dem Thema zu tun haben und auch ohne den Antrag weiterlaufen würden. Sicherlich im Einzelnen keine schlechten Projekte und man muss Minister Wüst zugestehen, dass er mit einer neuen Fachabteilung solche Projekte tatsächlich besser unterstützt als die Rot-Grüne Vorgängerregierung. Hätten sich die Fraktionen konzentriert und darauf beschränkt, den Ausbau des Datenraums Mobilität – einer Plattform zum Austausch von Mobilitätsdaten – zu fordern, wäre das alles nicht so peinlich geworden. Dann wären auch Raum und Zeit geblieben, auf den Datenschutz einzugehen und zum Umgang, der Speicherung und Zusammenführung von Echtzeitdaten Vorgaben zu beschließen.

So jedoch loben sich CDU und FDP, ein paar Forschungsprojekte und Unternehmungen vom Braintrain bis zum Lufttaxi unterstützt zu haben und überlassen ansonsten die „Mobilität der Zukunft“ dem Zufall, anstatt irgendwie diese Zukunft gestalten zu wollen. „Alle Verkehrsträger zu stärken“ ist das einzig formulierte Ziel. Am Ende soll die Landesregierung beauftragt werden, „ergebnisoffen eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze zu prüfen“. Alles Signalwörter dafür, dass man den Status Quo erhalten möchte. Wobei – Signalwörter benötigt dieser Antrag gar nicht: Dass die Landesregierung nur in der Zukunft herumstochert und eine rein beobachtende Position einnimmt, gefällt den Fraktionen so gut, dass sie in den Beschlussteil schreiben, dass genau dies zu tun sei.

„Vieles kann, muss aber nicht sein“, sagt Klaus Voussem (CDU) dazu in seiner Rede und belässt es dabei. Kein Hinweis darauf, wohin die Reise gehen soll. „Mobilität der Zukunft ist innovativ“, stellt er fest und das scheint ihm zu reichen. Er beendet seine Rede mit den Worten: „Wir brauchen aber auch Mut und den Weitblick, neue Wege zu gehen.“ Das wäre eine schöne Eröffnung gewesen, aber da er damit abschließt, erfahren wir nicht mehr, welche Wege das sein könnten. Wirklich konkret wird er zu keinen Zeitpunkt, genauso wenig wie der Antrag selbst, der Minister oder sein FDP-Kollege Ulrich Reuter, der für Daten als verkäufliche Güter, Flugtaxis (immerhin eine Vision) und andere Innovationen immerhin fordert, dass Geschäftskonzepte ermöglicht werden. Welche, lässt er offen. Doch NRW bräuchte viele Geschäftsmodelle in diesem Themenbereich.

Reicht das? Reicht es aus, wenn allein „der Markt“ Visionen zur Mobilität der Zukunft hat und zur Umsetzung tiefgreifender Veränderungen bereit ist?

Wie war das denn damals bei der Digitalen Revolution im Telekommunikationssektor? Ja, die deutsche Politik hat beim Breitbandausbau katastrophal versagt und tut dies bis heute. Aber die Führungsrolle für den Wandel konnte sie den Mobilfunkunternehmen und den Internet-Start-Ups aus den USA überlassen. Mal abgesehen davon, dass die Global Player nun aus anderen Teilen der Welt kommen: Könnte man nicht auch den Mobilitäts-Wandel in die Hände des Marktes geben?

Nein, weil es ja tatsächlich nicht nur den Bedarf für Veränderungen gibt, sondern auch Ziele, die politisch durchgesetzt werden müssen. Der Klimawandel oder Emissionen in den Städten lassen sich nicht ohne politische Steuerung vermindern.

Die Ideen und die Steuerung dem Markt zu überlassen, ist auch nicht möglich, denn der Staat ist viel stärker als in anderen Bereichen selbst Marktgestalter: Der Staat bestimmt die Verkehrsinfrastruktur, bestimmt wer Bus und Bahn fahren darf und wer vom ÖPNV-Netz abgeschnitten bleibt. Der Staat hat es in der Hand, ob Fahrradfahren gefährlich oder üblich ist. Der Staat kann steuern, welche Verkehrsmittel attraktiv genug für die tägliche Nutzung breiter Bevölkerungsgruppen sind und ob es überhaupt eine Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln gibt oder das eigene Auto die einzige Alternative darstellt.

„Alles gleichberechtigte Verkehrsmittel, die Wahl steht jedem frei“, sagt Klaus Voussem. Das gilt aber nur, wenn es neben dem eigenen Auto weitere praktikable Verkehrsmittel gibt. Ohne Fahrradwege oder einen attraktiven ÖPNV, funktionierende Sharing-Systeme oder Verkehrswege abseits von Autostraßen, gibt es die aber nicht. Vom Status Quo aus alle Verkehrsträger „gleichberechtigt“ anhand ihrer aktuellen Bedeutung weiterzuentwickeln ohne Prioritäten zu setzen, bedeutet, an dieser Situation auch langfristig nicht viel ändern zu wollen.

Der Mobilitätswandel muss gesteuert werden, damit die Verkehrswende gelingt!

Der Markt kann das nicht alleine leisten. Der Staat wäre auch in den wirtschaftsliberalsten Konzepten zumindest der ehemalige Monopolist, der sich auf die neuen Anforderungen und Veränderungen einstellen muss. Wenn er nichts tut, wird der ÖPNV verschwinden, werden Teile der Bevölkerung von Mobilität abgeschnitten und keines der politischen Ziele könnte erreicht werden. Die Verkehrswende wäre unerreichbar. Vielleicht ist das das geheime Ziel von CDU und FDP. Wahrscheinlicher ist, dass die Laschet-Regierung sich einfach mal wieder nicht festlegen wollte. Und wenn die Mobilitätspolitik so ein Highlight dieser Regierung sein sollte, wie es der Antrag suggeriert, dann sollten wir Laschets Pläne für die Zukunft anderer Bereiche gar nicht erst suchen. Wir würden nichts finden.

Bei der Mobilität der Zukunft darf die Politik kein neutraler Beobachter sein. Sie muss eine Vision von dieser Zukunft haben und sich große Ziele setzen. Sie muss uns alle damit motivieren, die Chancen für eine Verkehrswende zu nutzen, die die technischen und gesellschaftlichen Veränderungen bieten.

Wir brauchen ganz dringend mutige Utopien in der Politik und keine Parteien, die sich selbst auf die Schulter klopfen, wenn sie mal wieder „ergebnisoffen“ abgewartet haben.

von Oliver Bayer

Pressemitteilung der PIRATEN NRW: LANDESREGIERUNG VERSCHLÄFT MOBILITÄTSWENDE

Antrag von CDU und FDP: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-14068.pdf

Abschlussbericht der Enquetekommission ÖPNV: https://www.landtag.nrw.de/files/live/sites/landtag/files/WWW/I.A.1/EK/16.WP/EK_IV/2017-01-24_-_Landtag_Bericht_IV_FINOPV_interaktiv.pdf

Antrag der PIRATEN aus 2016: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD16-13028.pdf

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